[klima] Spektrumartikel, neues Erdzeitalter gefordert

Wilma Buß wilma_maria.buss at uni-bielefeld.de
Fr Feb 1 12:04:15 CET 2008


*spektrumdirekt*
Ausgabe vom 29. Januar 2008
 
Stratigrafie


  Forscher fordern neues Erdzeitalter


    [ www.wissenschaft-online.de/artikel/940774 ]

 
Der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt sei inzwischen so stark und 
unübersehbar geworden, dass mit Beginn der Industrialisierung eine neue 
Epoche "Anthropozän" angebrochen sei. Nobelpreisträger Paul Crutzen 
hatte diesen Begriff bereits 2002 geprägt, und Angehörige der 
Stratigrafie-Kommission der Geologischen Gesellschaft von London fordern 
nun, die Einteilung der Erdzeitalter entsprechend zu ändern [1].

Die Grenze zwischen Erdzeitaltern orientiert sich an markanten 
Veränderungen in der Gesteinsabfolge - von geochemischen Parametern bis 
hin zu biologischen, die beispielsweise ein Massenaussterben anzeigen. 
Vier Punkte sprechen nach Ansicht der Wissenschaftler um Jan Zalasiewicz 
von der Universität Leicester nun für einen neuen Abschnitt mit Beginn 
des 19. Jahrhunderts.

*Unübersehbare Spuren*

Zum einen habe der Mensch durch Landwirtschaft und Bautätigkeiten wie 
Staudammprojekte die globalen Erosionsprozesse dramatisch gesteigert, 
sodass sie die Sedimentation inzwischen um eine Größenordnung 
übertreffen und so eine eindeutige Spur in der Gesteinsabfolge 
hinterlassen werden. Zum zweiten seien menschliche Aktivitäten dafür 
verantwortlich, dass die Konzentrationen von Treibhausgasen wie 
Kohlendioxid und Methan sowie, mit etwas Verzögerung, auch die 
Temperaturen innerhalb dieser Zeit so rapide wie nie zuvor angestiegen 
sind und weiter klettern werden. Die Veränderung übersteige die 
Schwankungen, wie sie während Kalt- und Warmzeiten auftreten, und beende 
zugleich eine Phase relativ stabiler Verhältnisse.

Als drittes führen die Forscher das durch den Menschen verursachte 
Aussterben zahlreicher Tier- und Pflanzenarten an, das sich mit dem 
Klimawandel wahrscheinlich weiter verschärfen werde und womöglich 
ähnliche Ausmaße erreichen könnte wie an der Kreide-Tertiär-Grenze. Dazu 
komme die großflächige Zerstörung natürlicher Vegetation zu Gunsten von 
Monokulturen sowie die veränderten Verbreitungsgebiete von Spezies durch 
menschliche Aktivitäten und globale Erwärmung. Dies alles hinterlasse 
eine eindeutige Spur in den Fossilnachweisen. Mit ihrem letzten Argument 
verweisen die Wissenschaftler auf die Veränderungen in den Ozeanen: Hier 
werden sich der Anstieg der Meeresspiegel und die zunehmende Versauerung 
des Wassers durch anthropogene Kohlendioxid-Freisetzung dauerhaft 
niederschlagen.

*Ein neues Zeitalter auch für Böden*

Eine entsprechende Änderung der Stratigrafie hatte im Dezember auch 
Daniel Richter von der Duke-Universität gefordert [2]. Er argumentiert 
damit, dass der Mensch die Böden des Planeten so grundlegend beeinflusst 
und verändert, dass sich ihre Entwicklung nun von den Verhältnissen in 
den Jahrmilliarden zuvor charakteristisch abhebt. Da nun mehr als die 
Hälfte der Böden vom Menschen für Ackerbau, als Weideland oder 
forstwirtschaftlich genutzt werde, sei die Frage, wie sie erhalten 
werden können, von zentraler politischer und wissenschaftlicher 
Bedeutung, so Richter.

Als Paul Crutzen den Begriff "Anthropozän" ins Gespräch brachte, berief 
er sich selbst auf den italienischen Paläontologen Antonio Stoppani. Er 
hatte ihn bereits um 1873 verwendet, als er darauf hinwies, die 
menschlichen Aktivitäten könnten einst in Stärke und Verbreitung den 
natürlichen Kräften der Erde vergleichbar sein. Crutzen nannte als 
Gründe für ein neues Zeitalter die Explosion der Weltbevölkerung, 
Verstädterung und die alles prägende (Über)Nutzung und Zerstörung der 
Landschaft durch den Menschen, die Ausbeutung der fossilen Energieträger 
und den Anstieg der Treibhausgase sowie die Freisetzung allerlei 
toxischer Substanzen und das Ozonloch. Im Gegensatz zu dem aktuellen 
Vorstoß seiner britischen Kollegen, die den Beginn des 19. Jahrhunderts 
als Start der neuen Epoche sehen, regte er das späte 18. Jahrhundert an, 
da etwa mit der Erfindung der Dampfmaschine 1784 weltweit erste markante 
Veränderungen auftraten.

*Epochale Veränderungen brauchen ihre Zeit*

Ein entsprechend neues Zeitalter einzuführen, wäre Aufgabe der 
Internationalen Kommission für Stratigrafie. Sie arbeitet unter anderem 
daran, die bisherigen stratigrafischen Einheiten an ausgewählten 
Typusstandorten festzumachen. Letzter Vorschlag für den Beginn des 
Holozäns beispielsweise - der aktuellen Einheit nach den Eiszeiten - 
wäre ein Eisbohrkern aus Grönland, in dem sich ein Anstieg der 
Deuterium-Werte als Marke für steigende Temperaturen beobachten lässt. 
Eine Entscheidung hierüber soll noch dieses Jahr fallen.

Bis sich allerdings ein entsprechender Antrag für ein Anthropozän 
durchsetzen würde, kann einige Zeit vergehen. So hatte die Kommission 
2004 beschlossen, angesichts der Unsicherheiten um die Grenze zwischen 
Tertiär und Quartär diese beiden Einheiten komplett aufzulösen und in 
zwei neue Perioden, Paläogen und Neogen, umzugruppieren. Das Paläogen 
sollte demnach die Epochen Paläozän, Eozän und Oligozän umfassen, 
während das Neogen von Miozän bis heute reichen sollte. Die Abschaffung 
des Quartärs (bestehend aus Pleistozän und Holozän) sowie seine Grenze 
zum Pliozän, die zwischen drei Millionen Jahren und 1,8 Millionen vor 
heute schwankt, bleiben jedoch umstritten - aktuell fordert ein Antrag 
zur Abstimmung seine Erhaltung. Auch werde sich wohl das Tertiär, 
immerhin seit 250 Jahren in Gebrauch, wohl kaum oder vielleicht auch nie 
aus dem Sprachgebrauch löschen, merkt die Kommission selbst an. (af)
 
 


      Quellen:

[1] GSA Today 
<http://www.gsajournals.org/perlserv/?request=index-html&issn=1052-5173> 
18: 4--8 (2008), Volltext 
<http://www.gsajournals.org/perlserv/?request=get-document&doi=10.1130%2FGSAT01802A.1>
[2] Soil Science <http://www.soilsci.com/pt/re/soilsci/> 172: 957-967 
(2007), Abstract 
<http://www.soilsci.com/pt/re/soilsci/abstract.00010694-200712000-00002.htm>
 
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